Veröffentlichung in Fachzeitschrift „Nature“: Meilenstein in der Antimaterieforschung

23.07.2025

Diese Meldung basiert auf einer Pressemitteilung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU)

Dem Team der BASE-Kollaboration am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf ist ein Durchbruch in der Antimaterieforschung gelungen: Erstmals konnten die Forschenden ein einzelnes Antiproton – das Antimateriependant des Protons – fast eine Minute lang kontrolliert zwischen zwei Spin-Quantenzuständen hin- und herpendeln lassen. Zu der Kollaboration gehören Wissenschaftler*innen zahlreicher internationaler Institutionen, darunter auch Forschende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und von GSI/FAIR. Die nun in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie markiert die weltweit erste Realisierung eines Quantenbits (kurz Qubits) aus Antimaterie. „Dies ist ein Meilenstein, der künftig deutlich präzisere Tests grundlegender physikalischer Symmetrien ermöglichen wird“, so HHU-Physikprofessor und BASE-Sprecher Stefan Ulmer.

Antiprotonen besitzen dieselbe Masse wie Protonen, tragen jedoch eine entgegengesetzte elektrische Ladung. Beide Teilchen verhalten sich wie winzige Stabmagnete: Ihr sogenannter Spin zeigt – vergleichbar mit einer Kompassnadel – in eine von zwei Richtungen. Das präzise Messen des damit einhergehenden sogenannten magnetischen Moments, insbesondere durch kontrolliertes „Umklappen“ des Spins, zählt zu den zentralen Werkzeugen der modernen Quantenmesstechnik. Denn hierüber können fundamentale Naturgesetze experimentell überprüft werden.

Bei der in Nature vorgestellten Studie kam die Methode der „kohärenten Spin-Quantenübergangsspektroskopie“ zum Einsatz. Diese ermöglicht die hochpräzise Manipulation und Beobachtung einzelner Spinzustände. Hintergrund der Messungen war der Test der sogenannten CPT-Symmetrie (Ladung, Parität, Zeitumkehr): Sie fordert, dass sich Materie und Antimaterie – abgesehen von ihren entgegengesetzten Ladungen – exakt gleich verhalten, sie sollten also im Universum auch gleich häufig auftreten. Allerdings zeigt die tatsächliche Welt eine erhebliche Asymmetrie: Sie besteht nahezu vollständig aus Materie. Dies ist ein noch ungelöstes Rätsel der modernen Physik.

Bisher konnten solche kohärenten Quantenübergänge beispielsweise an makroskopischen Teilchenensembles oder in der Hyperfeinstruktur gespeicherter Ionen nachgewiesen werden. Die BASE-Kollaboration hat nun erstmals einen solchen Spinübergang bei einem einzelnen, freien Kernspin eines Antiprotons kohärent demonstriert und beobachtet – was physikalisch und technisch eine enorme Herausforderung ist.

„Eine gute Analogie hierfür ist eine Kinderschaukel“, erklärt BASE-Sprecher Professor Stefan Ulmer vom Institut für Experimentalphysik der HHU: „Wird sie mit der richtigen Frequenz angestoßen, schwingt sie rhythmisch hin und her. In unserem Fall ist die Schaukel der Spin eines einzelnen Antiprotons, den wir mithilfe elektromagnetischer Felder gezielt in Schwingung versetzen. Wir konnten darüber hinaus eine Kohärenzzeit von 50 Sekunden erreichen.“

Die für das Experiment benötigten Antiprotonen wurden in der Antimateriefabrik (kurz AMF) des CERN erzeugt und in sogenannten Penning-Fallen – hochpräzisen elektromagnetischen Instrumenten zur exakten Teilchenkontrolle – gespeichert. Anschließend wurden sie einzeln in ein separates Mehrfachfallensystem überführt, in dem ihre Spinzustände gemessen und manipuliert werden können. „Dies ist nichts anderes als ein Qubit, das aus einem einzelnen Antiproton-Spin besteht“, betont CERN-Wissenschaftlerin Dr. Barbara Maria Latacz, die Erstautorin der Studie.

Bereits in früheren Arbeiten zeigte das BASE-Team, dass die magnetischen Momente von Protonen und Antiprotonen bis auf wenige Milliardstel Teile identisch sind. Doch gibt es einen Unterschied? Eine essentielle Frage, denn eine noch so geringe Abweichung verletzte die CPT-Symmetrie und lieferte somit Hinweise auf neue Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik. Dr. Christian Smorra von der HHU: „Damals kamen allerdings inkohärente spektroskopische Methoden zum Einsatz, bei denen Magnetfeldschwankungen und technische Störeinflüsse die Spindynamik beeinflussten. Dies limitierte letztlich die Genauigkeit.“

Durch umfassende Verbesserungen am Aufbau gelang es nun, diese Dekohärenzmechanismen systematisch zu unterdrücken und so die erste kohärente Spektroskopie eines Antiprotonspins zu realisieren. Damit erzeugte das Forschungsteam nicht nur ein stabiles Antimaterie-Qubit, sondern schafft völlig neue Messmethoden.

„Diese Arbeit eröffnet uns die Möglichkeit, das gesamte Spektrum kohärenter spektroskopischer Verfahren erstmals auf einzelne Teilchen aus Antimaterie anzuwenden“, betont Ulmer und ergänzt: „Konkret erwarten wir, das magnetische Moment des Antiprotons künftig mit einer zehnfach und langfristig mit einer bis zu hundertfach höheren Genauigkeit bestimmen zu können, zum Beispiel in den eigens dafür geschaffenen Laboren, die wir derzeit an der HHU entwickeln.“

Der nächste große Schritt ist bereits geplant: Mit dem neu entwickelten BASE-STEP-System sollen Antiprotonen künftig in transportablen Präzisionsfallen aus dem Umfeld der AMF in besonders präparierte Präzisionslabore gebracht werden. Dort können deutlich längere Spinkohärenz-Zeiten erzielt und damit eine weit höhere Messgenauigkeit erreicht werden.

„Sobald das neue externe Präzisionssystem betriebsbereit ist und mit Antiprotonen aus BASE-STEP versorgt wird, können wir Spinkohärenz-Zeiten erreichen, die sogar zehnmal länger sind als in unserem aktuellen Aufbau“, sagt Barbara Latacz. „Das wäre ein weiterer Meilenstein in der Untersuchung baryonischer Antimaterie.“

Auch GSI/FAIR ist an der BASE-Kollaboration beteiligt. Unter anderem hat die GSI/FAIR-Werkstatt unter der Leitung von Markus Romig und Stephan Teich einige feinmechanische Präzisionsteile für den Penningfallenaufbau erstellt. Ebenfalls betreut Dr. Wolfgang Quint aus der GSI/FAIR-Forschungsabteilung für Atomphysik einen bei BASE am CERN tätigen Doktoranden, dessen Position von GSI/FAIR finanziert wird. (HHU/BP)

Die BASE-Kollaboration

Die 2013 gegründete Kollaboration mit Sitz am AMF am CERN umfasst Forschungsinstitute in Deutschland, Japan, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz. Zu ihr gehören: CERN – Europäische Organisation für Kernforschung, Genf; Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich; GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH, Darmstadt; Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; Imperial College London; Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; Leibniz-Universität Hannover; Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg; Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig; RIKEN – Institut für Physikalische und Chemische Forschung, Wako, Japan, Universität Tokio, Japan. Gründer und Sprecher der Kollaboration ist Prof. Dr. Stefan Ulmer, Institut für Experimentalphysik der HHU und Chief Scientist am RIKEN in Japan.

Weitere Informationen

Wissenschaftliche Veröffentlichung in "Nature"

Webseite der BASE-Kollaboration

Pressemitteilung der HHU