JUNO schließt Flüssigkeitsbefüllung ab und beginnt mit Datenerfassung: Neuer Detektortyp ermöglicht tieferes Verständnis des Universums

29.08.2025

Diese Meldung basiert auf einer Pressemitteilung der JUNO-Kollaboration

Das Jiangmen Underground Neutrino Observatory (JUNO) in der Nähe der Stadt Jiangmen in China hat die Befüllung mit 20.000 Tonnen Flüssigszintillator erfolgreich abgeschlossen und mit der Datennahme begonnen. Nach mehr als einem Jahrzehnt der Vorbereitung und des Baus ist JUNO das erste einer neuen Generation sehr großer Neutrino-Experimente, das diese Phase erreicht hat. Livia Ludhova, Professorin für Experimentelle Neutrinophysik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Leiterin der Neutrinogruppe am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung Darmstadt, ist Mitglied des JUNO-Exekutivkomitees. Ihre Forschungsgruppe konzentriert sich nun auf das Erforschen der Daten aus der ersten Inbetriebnahme.

In den vergangenen Monaten konnten erste Testläufe zeigen, dass die wichtigsten Leistungsspezifikationen des Detektors die Konstruktionsanforderungen erfüllen oder sogar übertreffen. Dies wird JUNO in die Lage versetzen, eine der wichtigsten Fragen der Teilchenphysik dieses Jahrzehnts zu untersuchen: die Reihenfolge der Neutrinomassen, und damit, ob der dritte Neutrino-Massenzustand (ν₃) schwerer ist als der zweite (ν₂). Professor Yifang Wang, Forscher am Institut für Hochenergiephysik (IHEP) der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Sprecher von JUNO, sagte: „Die Fertigstellung des JUNO-Detektors und der Beginn der Datennahme markieren einen historischen Meilenstein. Zum ersten Mal haben wir einen Detektor dieser Größenordnung und Präzision in Betrieb, der speziell für Neutrinos entwickelt wurde. JUNO wird es uns ermöglichen, fundamentale Fragen über die Natur der Materie und des Universums zu beantworten.“

JUNO befindet sich 700 Meter unter der Erde in Jiangmen in der Provinz Guangdong und detektiert Antineutrinos, die 53 Kilometer entfernt von den Kernkraftwerken Taishan und Yangjiang erzeugt werden, und misst deren Energiespektrum mit bisher unerreichter Präzision. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen ist die Bestimmung der Neutrino-Masseordnung durch JUNO unabhängig von Materieeffekten in der Erde. JUNO wird auch die Genauigkeit mehrerer Neutrino-Oszillationsparameter um Größenordnungen verbessern und für Spitzenforschung zu Supernova-, Sonnen- und Geoneutrinos sowie zur Suche nach sterilen Neutrinos und Protonenzerfall genutzt werden.

JUNO wurde 2008 vorgeschlagen und 2013 von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und der Provinz Guangdong genehmigt. Der Bau des Untergrundlabors begann 2015. Die Installation des Detektors startete im Dezember 2021 und wurde im Dezember 2024 abgeschlossen, gefolgt von einer schrittweisen Befüllung.

Daraufhin füllte das Team innerhalb von 45 Tagen 60.000 Tonnen höchstreines Wasser ein, wobei die Flüssigkeitsstände innerhalb und außerhalb der zentralen Plexiglaskugel auf wenige Zentimeter genau gehalten und die Durchflussmengen mit einer Unsicherheit unter 0,5 Prozent kontrolliert wurden, um die strukturelle Integrität zu gewährleisten. In den folgenden sechs Monaten wurden 20.000 Tonnen Flüssigszintillator in die Plexiglaskugel mit einem Durchmesser von 35,4 Metern eingefüllt, wobei das Wasser verdrängt wurde. Dabei wurden strenge Anforderungen an Reinheit, optische Transparenz und extrem niedrige Radioaktivität für Wasser und Szintillator eingehalten. Parallel dazu startete die Kollaboration die Fehlerbehebung, Inbetriebnahme und Optimierung des Detektors, sodass nach Abschluss der Befüllung ein nahtloser Übergang zum Vollbetrieb möglich war.

Das Herzstück von JUNO ist ein zentraler Flüssigkeitsszintillator-Detektor (effektive Masse 20.000 Tonnen) in der Mitte eines 44 Meter tiefen Wasserbeckens. Ein Edelstahlgerüst mit einer Höhe von 41,1 Metern trägt die 35,4 Meter große Acrylkugel, den Szintillator, 20.000 Photomultiplierröhren (PMTs) mit 20 Zoll (50 cm) Durchmesser, 25.600 PMTs mit 3 Zoll (7,5 cm) Durchmesser, Front-End-Elektronik, Verkabelung, antimagnetische Kompensationsspulen und optische Panels. Alle PMTs arbeiten gleichzeitig, um das Szintillationslicht aus Neutrino-Reaktionen zu erfassen und in elektrische Signale umzuwandeln.

Während der Bauphase gelang es den Projektpartnern, mehrere technologische Durchbrüche zu erzielen, darunter hochleistungsfähige großflächige PMTs mit innovativen Konstruktions- und Verstärkungsdesigns, ein Unterwasser-Explosionsschutz- und Abdichtungssystem zum Schutz der PMTs sowie ein hochreines Szintillator-Reinigungssystem mit hohem Durchsatz, das eine Dämpfungslänge von über 20 Metern ermöglicht. Mit neuartigen Unterwasserelektronikkomponenten erreichte JUNO eine hohe Zuverlässigkeit unter Verwendung handelsüblicher Bauteile, wodurch die Robustheit erhöht und gleichzeitig die Kosten gesenkt werden konnten.

Dr. Xiaoyan Ma, Chefingenieur von JUNO, erklärte: „Der Bau von JUNO war eine Reise voller außergewöhnlicher Herausforderungen. Er erforderte nicht nur neue Ideen und Technologien, sondern auch jahrelange sorgfältige Planung, Tests und Ausdauer. Um die strengen Anforderungen an Reinheit, Stabilität und Sicherheit zu erfüllen, war das Engagement von Hunderten von Ingenieur*innen und Techniker*innen erforderlich. Ihr Teamgeist und ihre Integrität verwandelten ein kühnes Design in einen funktionierenden Detektor, der nun bereit ist, ein neues Fenster zur Neutrinowelt zu öffnen“

JUNO wird vom IHEP betrieben und vereint über 700 Forscher aus 74 Institutionen in 17 Ländern und Regionen. Aus Deutschland sind sechs Forschungsgruppen – mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) – am Experiment beteiligt, darunter die Arbeitsgruppen von Professor Michael Wurm und Professor Livia Ludhova an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die zum Exzellenzcluster PRISMA+ gehören.

Professor Ludhova von GSI und JGU sagt: „JUNO ist das Ergebnis einer langjährigen internationalen Zusammenarbeit. Unsere Teams haben wichtige Bausteine zum jetzigen Erfolg beigetragen: mit dem Vordetektor OSIRIS zur Sicherstellung der radioaktiven Reinheit des Szintillators während der Detektorbefüllung, mit Studien zur Sensitivität und mit der Analyse der ersten Daten, die jetzt während der Inbetriebnahme genommen wurden, all dies in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in China. Es ist sehr befriedigend zu sehen, wie unser gebündelte Expertise nun in einem Detektor zusammenkommt, der der weltweiten Physikgemeinschaft über Jahrzehnte dienen wird.“

JUNO ist für eine wissenschaftliche Lebensdauer von bis zu 30 Jahren ausgelegt. Perspektivisch bietet der Detektor die Möglichkeit für ein Upgrade, um eine dann weltweit führende Suche nach dem neutrinolosen Doppel-Beta-Zerfall durchführen zu können. Ein solches Upgrade würde die absolute Massenskala der Neutrinos erforschen und testen, ob Neutrinos Majorana-Teilchen sind – wodurch grundlegende Fragen aus den Bereichen Teilchenphysik, Astrophysik und Kosmologie beantwortet würden. (BP)

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